Frau Merkel – Zum Gesellschaftsverständnis

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
von Zeit zu Zeit lese ich die Kommentare auf tagesschau.de und ich finde, dies sollten Sie auch mal machen. Oft bin ich zutiefst erschrocken darüber, wie hier Menschen über andere Menschen oder anderes Leben urteilen.
Nun, und da wir schließlich in zwei vollkommen unterschiedlichen Systemen groß geworden sind, möchte ich Ihnen doch einmal erzählen, zu welchen Werten man vor zwanzig Jahren im Westen, genauer gesagt in Nordrhein-Westfalen, auch in der Schule erzogen wurde. Der Mensch und die Entwicklung des menschlichen Geistes standen tatsächlich im Mittelpunkt der Lehre. Auch hier gab es schon Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre, denn nicht zuletzt waren wir dort im Ruhrgebiet der Wiege der Industrialisierung sehr nahe. Aber es war klar auch hier sprechen wir von Theorien, von Theorien, die heute als alternativlose Realitäten gehandhabt werden. Zurück aber zum Menschen. Wenn ich mich recht erinnere, gab es ein gesellschaftliches Einverständnis, egal, ob jemand eher konservativ, liberal, rechts oder links war, das Ziel war eine humanere Welt, in der jeder und jede sich gemäß der eigenen Fähigkeiten entwickeln und einbringen sollte, die Möglichkeit ins Auge zu fassen Kriege zu vermeiden und ein lebenswertes Leben für alle zu schaffen. Auf dieser Grundlage wurden wir dazu erzogen alles Gedankengut zu reflektieren und kritisch zu analysieren.
Waren diese Menschen alle dumm? Meine Lehrer, meine Eltern und andere Erwachsene? Verblendete Idealisten, die noch unter dem Einfluss zweier schrecklicher Kriege und einer klassischen Bildung standen? und, was mache ich mit meinem darausfolgenden Dilemma, dass mal kurz die Realität ausgewechselt wurde?
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Zurück zu Tagesschau, ab und an gibt es noch einen Kommentar, der erkennen lässt, das auch noch andere sich an diese Zeiten erinnern, aber den Glauben an die Menschheit verloren haben. Ich zitiere: Wäre der Mensch ein rein rational denkendes Wesen, dann gäbe es mit unseren heutigen Möglichkeiten, keinen Hunger mehr auf der Welt, die Säuglingssterblichkeit würde rapide sinken, fast alle Menschen der Welt würden in relativem Wohlstand leben und wir hätten sicher schon eine bemannte Station auf dem Mars…
ABER der Mensch ist kein rein rational denkendes Wesen, sein Denken und Handeln wird von primitiven Instinkten wie Furcht, Egoismus, Neid usw. überschattet. Es gehört zu uns wie der Herzschlag der uns am Leben lässt.
Was ich der heutigen westlichen Gesellschaft ankreide ist, dass die heeren Ideale der Vergangenheit verrottet sind und primitives Gut zum Ideal erkoren wurde.

Was ist denn mit Ihnen, Frau Merkel, haben Sie den Glauben an die Menschheit auch verloren oder hatten Sie den nie, weil das mit dem Glauben und der kritischen Analyse eh so eine schwierige Sache „drüben“ war?
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PS: Gerade war ich bei Karstadt. (Gibt es Karstadt überall in Deutschland? Wenn nicht, Karstadt ist ein klassisches Kaufhaus, oder war es einmal, aber das ist schon wieder ein eigenes Thema zu betriebswirtschaftlichem, gewerkschaftlichem und politischem Versagen).
Auf dem Büchertisch, gleich neben Heinz Buschkowskys neuestem Buch über unsere komplett fehlgeschlagene Integrationspolitik, liegt von Karen Duve „Warum die Sache schiefgeht“. Aus der Kurzzusammenfassung: „Schade nur, dass in Politik und Wirtschaft immer noch meist diejenigen das Sagen haben, die am allerwenigsten dazu geeignet sind. In ihre Positionen sind sie gekommen, weil sie Eigenschaften besitzen, die sich bei genauerer Betrachtung auch für eine Verbrecherlaufbahn eignen: Knallhartes Durchsetzungsvermögen, Risikobereitschaft, Selbstvertrauen und unbegrenzte Einsatzbereitschaft. Nette, verantwortungsvolle und sozial funktionierende Menschen schaffen es meist gar nicht erst bis in die Führungsetagen. Das ist ein Problem.“
Wenn also eine ganze Menge Leute, der Meinung sind, dass in unserem Land einiges schief läuft, wie kommt es dann, dass sich nichts ändert?

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